Volltextsuche nutzen

B O O K SCREENER

Aktuelle Veranstaltungen

Events
  • versandkostenfrei ab € 30,–
  • 6x in Wien und Salzburg
  • 6 Mio. Bücher
Menü

VfGH: Grundversorgung ist verfassungskonform

Beitrag von Richard Maria Raphael Eibl, LL.M. und Mag. Maximilian Moisi


Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis G 1102-1107/2023 vom 12.03.2024 das bundesgesetzliche Recht von Verbrauchern auf Grundversorgung mit Strom und Gas gemäß Elektrizitätswirtschafts- und organisationsgesetzes (ElWOG) bestätigt und im Erkenntnis G 122/2023 ebenfalls vom 12.03.2024 eine widersprechende landesgesetzliche Regelung im Niederösterreichischen Elektrizitätswesengesetz (NÖ ElWG) als verfassungswidrig aufgehoben. Unter Grundversorgung versteht man die Versorgung von Verbrauchern mit Strom und Gas zu einem Tarif, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl der Bestandskunden des Energieversorgers versorgt werden (Medianwert). Der gesetzgeberische Wille besteht dabei darin, für alle Haushaltskunden wettbewerbsfähige und diskriminierungsfreie Preise sicherzustellen. Der Verfassungsgerichtshof könnte in Fortsetzung dieser Rechtsprechung weitere Gesetzesprüfungsverfahren betreffend die entsprechenden Landesgesetze von Wien, Burgenland, Salzburg, Tirol sowie Vorarlberg einleiten und die entsprechenden Bestimmungen kassieren.


Ausgangslage

Im Jahr 2022 begehrte eine Haushaltskundin von ihrem Stromlieferanten zum Grundversorgungstarif versorgt zu werden. Sie berief sich dabei auf § 77 Abs 1 und 2 ElWOG 2010 (Grundsatzgesetz) und auf § 45 Abs 4 und 5 NÖ ElWG 2005 (Ausführungsgesetz). Erstere Bestimmung regelt als Grundsatzbestimmung die Grundversorgung mit Strom, in concreto einen Kontrahierungszwang und eine maximal zulässige Tarifhöhe. Die auszuführende zweite Bestimmung räumt jedoch – im Unterschied zur Grundsatzbestimmung – den Stromlieferanten ein besonderes Kündigungsrecht ein. Demnach dürfe der Stromlieferant ein Vertragsverhältnis zur Grundversorgung aus wichtigem Grund insb dann beenden, wenn ein anderer Lieferant oder Händler bereit ist, einen Stromlieferungsvertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen (§ 45 Abs 6 S 2 NÖ ElWG 2005). Der Stromlieferant lehnte den Anspruch hinsichtlich dieses Kündigungsrechtes ab, weshalb der vom Prozessfinanzierer Padronus finanzierte und angestoßene Rechtsstreit vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien behandelt wurde. Das Gericht stellte in weiterer Folge beim Verfassungsgericht den Antrag auf Aufhebung von § 45 Abs 6 NÖ ElWOG 2010 wegen Gesetzwidrigkeit.


Begründung

Dem Verfassungsgerichtshof zufolge verstößt eine solche Kündigungsmöglichkeit gegen die grundsatzgesetzlich in § 77 Abs 1 S 2 und Abs 2 S 1 ElWOG 2010 geregelte Pflicht zur Grundversorgung für alle Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen (G 122/2023 Rz 40). Daher hob er die Bestimmung § 45 Abs 6 S 2 NÖ ElWG 2005 wegen Widerspruchs zu § 77 Abs 1 S 2 und Abs 2 S 1 ElWOG 2010 als grundsatzgesetz- und damit verfassungswidrig auf. Ein Ausführungsgesetz dürfe dem Grundsatzgesetz nicht widersprechen, es also auch nicht in seiner rechtlichen Wirkung verändern oder einschränken. Denn die durch das Bundesgrundsatzgesetz aufgestellten Grundsätze sind für die Landesgesetzgebung unbedingt und in vollem Ausmaß verbindlich (G 122/2023 Rz 37). Den bundesgesetzlichen Grundsatz der Grundversorgungspflicht wiederum hält der Verfassungsgerichtshof für eine sachlich gerechtfertigte, auch im Lichte der Erwerbs- und Eigentumsfreiheit der in die Pflicht genommenen Energieversorgungsunternehmen verhältnismäßige Regelung, deren Eignung und Erforderlichkeit zur Sicherstellung eines gewichtigen öffentlichen Interesses außer Zweifel steht (G 1102-1107/2023 Rz 85).

Auswirkungen auf andere Ausführungsgesetze der Länder?

Das Wiener Elektrizitätswirtschaftsgesetz (WElWG), das Burgenländische Elektrizitätswesengesetz (Bgld ElWG), das Salzburger Landeselektrizitätsgesetz (Sbg LEG) sowie das Tiroler Elektrizitätsgesetz (TEG) sehen jeweils denselben Kündigungsgrund wie im oben genannten Fall vor. Daher muss davon ausgegangen werden, dass die Kündigungsbestimmungen gemäß § 43a Abs 7 WElWG, § 39 Abs 6 Bgld ElWG, § 35 Abs 3 Sbg LEG sowie § 66a Abs 4 TEG ebenfalls als verfassungswidrig aufzuheben sind. Das Vorarlberger Gesetz über die Erzeugung, Übertragung und Verteilung von elektrischer Energie enthält eine im Wesentlichen gleich bedenkliche Kündigungsregelung. Ein Kündigungsgrund liege demnach insbesondere vor, wenn ein Versorger zu für den Kunden günstigeren Bedingungen bereit ist, einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen (§ 35 Abs 7 Vbg ElEÜVG).

Ausblick

Ein Vergleich der konkret betroffenen Regelung aus Niederösterreich mit den korrespondierenden Bestimmungen der anderen Bundesländer wird uE nach den Verfassungsgerichtshof durch weitere Gesetzesprüfungsverfahren beschäftigen und zum gleichen Ergebnis führen.

24. April 2024


Richard Maria Raphael Eibl, LL.M.

ist Gründer und Geschäftsführer des Prozessfinanzierers Padronus, mit dem er gerichtliche Sammelverfahren deutschland- und österreichweit entwickelt und finanziert. In den Medien gibt er regelmäßig Kommentare zu aktuellen rechtlichen Fragestellungen ab.


Mag. Maximilian Moisi

ist Rechtsanwaltsanwärter bei LABACK LAW und spezialisiert auf Arbeitsrecht, Immobilienrecht sowie Verwaltungsrecht. Er ist Dissertant an der Universität Wien im Bereich Arbeitszeitrecht/Verwaltungsstrafrecht.



Richard Eibl

Foto: Interfoto

 

Maximilain Moisi

Foto: Caro Strasnik

 

Literatur zum Thema

Grundrechtliche Grenzen des Lockdowns

Sind Massenquarantäne und Impfdiskriminierung verfassungswidrig?

Grundrechtliche Grenzen des Lockdowns

Veröffentlicht 2021
von Richard Maria Raphael Eibl bei facultas
ISBN: 978-3-7089-2227-0

Die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhängten Lockdowns stellen die gravierendsten Grundrechtseingriffe der Zweiten Republik dar. Zahlreiche verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte werden zugunsten eines Schutzguts – der Gesundheit – auf rechtshistorisch einmalige Weise in den ...