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4 Jahre Legal Tech

Beitrag von Dr.in Veronika Haberler, MAS, MLS


Vor mittlerweile genau vier Jahren ist die erste Auflage von „FlexLex Legal Tech Rechtsgrundlagen Österreich & EU“, erschienen. Kurz darauf folgte auch eine deutsche Version, für die ich – neben Nikolaus Forgó – auch Markus Hartung als Mit-Herausgeber gewinnen konnte. Diese Sammlung war die erste ihrer Art für das Segment Innovation und Technologie in der Rechtspraxis aka „Legal Tech“. Zeit, einen kleinen Blick zurückzuwerfen.

Spannend, was alles in 4 Jahren so passieren kann: Frankreich hatte damals den Telegramm-Versand abgeschafft, am Handelsgericht Wien ging die Initiative 3.0 in Pilotbetrieb. Die DSGVO trat in Kraft und ließ Hoffnung bei Datenschützer:innen aufkeimen. In den USA machte Ross Schlagzeilen, „the world’s first AI lawyer“. Vier Jahre später ist Ross nicht mehr am Markt. Immerhin wird die DSGVO schrittweise zunehmend konsequenter umgesetzt (Schrems I und II et al sei Dank), die Digitalisierung der Justiz schreitet gut voran und Videokonferenz- sowie Cloud-Lösungen etablieren sich endlich im beruflichen Alltag vieler Menschen. Vielleicht ist Evolution doch die beständigere Strategie als Disruption bzw Revolution. 

Legal Tech als Querschnittsmaterie

Es gibt kaum eine juristische Disziplin, die nicht von sich behauptet, eine Querschnittsmaterie darzustellen. Natürlich ist es eine mittlerweile hinreichend bekannte Binsenweisheit, dass das Zivil- mit dem Steuerrecht eng verbunden ist, dieses wiederum mit dem Verfassungsrecht. Gemeint ist allerdings, dass im Bereich Legal Tech sich gleich zwei, drei oder mehrere Wissenschaften miteinander kombinieren und aufeinander reagieren.

Die Digitalisierung des Rechts soll die Kompetenzen der Softwareentwicklung mit jenen der Rechtswissenschaften zusammenbringen, um zu neuen innovativen oder auch nur komfortableren oder kostengünstigeren Rechtsservices zu gelangen. Da die schönste technische und juristisch einwandfreie Lösung nur nichts ohne ihre User:innen ist, werden vernünftigerweise auch Design Thinking Methoden ins Pflichtkompetenzprogramm von Legal Tech aufgenommen. Legal Design soll das schaffen, was Technik und Jus nicht allein vermögen: Alle Anwender:innen oder Adressat:innen einer digitalen Rechtsdienstleistung begeistern (Lesetipp dazu: The Legal Design Book von Astrid Kohlmeier und Meera Klemola).

Es gibt wenig Berufsfelder, denen man eine so tief innewohnende Innovationsaversität nachsagt, wie den Kernjurist:innen (manchen sehr zu Recht, anderen zu Unrecht). Und seit einer Weile zeigt sich: Legal Tech wird menschliche Beratung wohl noch sehr lange nicht ersetzen. Verändern – ja, unbedingt! Präzisieren, das auch! Applikationen wie Fluggastrechte-Tools (etwa Fairplane oder myflyright) oder Online-Vertragsbaukästen sind auch unter den Aspekten Access-to-Justice und Access-to-Legal-Services begrüßenswert: Sie schaffen einen breiteren Zugang zum Recht, der anderweitig aus Rentabilitätsüberlegungen bei Einzelfällen verschlossen bliebe.

Was macht ein Clown in der Kanzlei? Faxen!  

Und auch österreichische und deutsche Anwält:innen kommen um das Fax noch nicht ganz herum. Zumindest hierzulande löst die digitale Kommunikation (sehr) langsam aber sicher doch die herkömmlichen Kommunikationswege ab. Endlich sind auch Firmenbuchanträge in strukturierter Form einzubringen – und der Zenit der möglichen und sinnvollen Prozessdigitalisierung im juristischen Alltag ist noch lange nicht erreicht. Man denke an harmonisierte europäische Datensätze, an sprachlich unabhängige Schnittstellen, an eine technisch funktional gestaltete Amts- und Rechtshilfe … Es ist noch ein weiter Weg, aber es lohnt sich, ihn einzuschlagen. Mit Klarstellungen im österreichischen anwaltlichen Berufsrecht setzen sich womöglich auch bald Cloud-basierte Lösungen durch und dank des deutschen „smartlaw“-Urteils steht nun fest, dass Konsument:innen sich ihre Verträge im Internet auch selbst „zusammenklicken“ dürfen, ohne dass zwingend ein(e) Rechtsanwält:in Formular-Verwaltung betreiben muss.

„Es geht schon was“ und „da geht noch was“ möchte man also zum Status von Legal Tech im DACH-Raum resümieren. Wir werden jedenfalls auch weiterhin einen genauen Blick auf die rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen werfen und diese in einer FlexLex – analog und digital – kuratieren.


30. Juni 2022



Dr. Veronika Haberler, MAS, MLS

ist eine führende Innovatorin im Bereich der juristischen Wissensarbeit sowie CEO und Co-Founderin von LeReTo. Für ihre Arbeit an der Schnittstelle von Innovation und Recht wurde sie bereits mehrfach auch international ausgezeichnet. Gemeinsam mit Nikolaus Forgó ist sie Herausgeberin der Rechtsgrundlagen Legal Tech Österreich & EU.

 © Paul Bauer

 

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