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Zankl.update im November 2023
- “Diesel-Abgasskandal”: Geldersatz vom Hersteller aufgrund Minderwertes
- Gemischte Nutzung des Bestandobjekts - keine Kündigung iSd § 30 Abs 2 Z 5 MRG nach Tod des bisherigen Mieters
- Amtshaftung aufgrund Fehler im Verlassenschaftsverfahren durch Notar und Gericht
- Erste OGH-Entscheidung zu KI
“Diesel-Abgasskandal”: Geldersatz vom Hersteller aufgrund Minderwertes
Der Oberste Gerichtshof bestätigte diesen Aufhebungsbeschluss. Der Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kann demnach vom Hersteller zwar Rückzahlung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs in Form einer Zug-um-Zug Abwicklung verlangen. Dies schließe aber die Möglichkeit nicht aus, den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geltend zu machen. Auch wenn Aktuelle Entwicklungen im Zivilrecht. der Kläger das Fahrzeug bei Offenlegung der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, habe der Erwerber trotzdem Anspruch auf ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung. Für die Schadensbemessung verweist der OGH auf unionsrechtliche Vorgaben. Der Schaden ist demnach innerhalb einer Bandbreite von 5 % (aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität als Untergrenze) und 15 % (aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit als Obergrenze) des Kaufpreises festzusetzen. Die Rechtssache geht nun wieder zurück zum erstinstanzlichen Gericht. Es ist das Vorbringen der Beklagten zu prüfen, sie habe nicht schuldhaft gehandelt, weil sie einem Rechtsirrtum über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung unterlegen sei (10 Ob 27/23b).
Gemischte Nutzung des Bestandobjekts - keine Kündigung iSd § 30 Abs 2 Z 5 MRG nach Tod des bisherigen Mieters
Amtshaftung aufgrund Fehler im Verlassenschaftsverfahren durch Notar und Gericht
Der Oberste Gerichtshof teilte diese Auffassung nicht und folgte der Ansicht des Autors. Der Notar und das Gericht hätten das Schriftstück kritischer sehen müssen. Es liege kein unbedenkliches Testament vor, da die Verfügung konkrete Zweifel am Vorliegen eines Testierwillens aufkommen lässt. Es wurden zwar Ausdrücke und Formulierungen wie „mein freier Wille“, „im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte“ und „ich bestimme … S* … zu meiner alleinig Begünstigten“ verwendet, die den Eindruck eines Testaments erwecken. Jedoch lässt sich kein Begriff eindeutig nur mit einer letztwilligen Verfügung in Zusammenhang bringen (anders als zB „Erbe“, „letzter Wille“, „ich vermache“). Der Tod des Erklärenden wird mit keinem einzigen Wort für die Erfüllung der Verfügung vorausgesetzt. Dies fällt hier umso mehr ins Gewicht, als der Absatz, dass „diese Verfügung … den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung erfüllen und nach dem Ermessen von Frau S* angewendet werden“ soll, sich auf den ersten Blick nicht in ein Testament einfügt und eher auf eine Vollmacht hindeutet. Nach § 157 Absatz 1 Außerstreitgesetz wären daher die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen nachweislich zu einer Erbantrittserklärung aufzufordern gewesen. Außerdem vereitelten die Organe der Beklagten durch die sofortige Einantwortung der Pflegerin den Zweck des § 152 Absatz 2 Außerstreitgesetz, den gesetzlichen Erben durch die Übermittlung des Testaments dessen Bekämpfung im Verfahren über das Erbrecht zu ermöglichen. Folglich wurde das rechtliche Gehör der gesetzlichen Erben in diesem Fall nicht gewahrt, weswegen der Staat nun Schadenersatz leisten muss (1 Ob 102/23s).
Erste OGH-Entscheidung zu KI
Ein mit Künstlicher Intelligenz ausgestattetes Softwaretool entnimmt sodann aus dieser Rechnung sämtliche relevanten Informationen und veranlasst die weiteren Mahnschritte. Bleiben diese erfolglos, hängt das weitere Handeln von dem Wert der eingemahnten Forderung ab. Beträgt dieser unter 5.000 Euro, erhält der Kunde eine automatische Nachricht, dass er die Möglichkeit habe, ohne Rechtsanwalt eine Mahnklage einzubringen. Für die von ihm selbst auszufüllende Mahnklage stellt ihm die Beklagte dabei von ihr bereits im Zuge der Inkassotätigkeit generierte Informationen zur Verfügung. Übersteigt die Forderung 5.000 EUR und besteht daher vor Gericht grundsätzlich Anwaltspflicht gem § 27 Abs 1 ZPO, wird der Kunde automatisch auf die Möglichkeit einer durch einen Rechtsanwalt einzubringenden Mahnklage hingewiesen. Entscheidet sich der Kunde für die Mandatierung eines Rechtsanwalts, wird ihm, nach einem automatischen Auswahlverfahren, ein mit der Beklagten über eine „Anbindungsvereinbarung“ vertraglich verbundener Rechtsanwalt („Partner-Rechtsanwalt“) vorgeschlagen („Matching“).Neben der genannten Inkassotätigkeit bietet die Beklagte auf ihrer Online-Plattform auch den Service „Rechtsfragen aller Art“ an. Dieser erlaubt Kunden rechtliche Fragen zu stellen und allfällige Unterlagen hochzuladen. Sodann identifiziert das mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Softwaretool die rechtlichen Problemstellungen automatisch und schlägt gegebenenfalls dem Kunden einen bzw mehrere für die konkrete rechtlich Fragestellung geeignete „Partner-Rechtsanwälte“ vor. Auf die Empfehlung eines konkreten Rechtsanwalts hat die Beklagte jedoch keinen direkten Einfluss. Zudem bietet das Softwaretool auch eine rechtliche Recherche. Entscheidet sich der Kunde für eine Mandatierung und Bevollmächtigung eines Partner-Rechtsanwalts, werden die Ergebnisse dieser KI-basierten juristischen Recherche dem Rechtsanwalt zur Verfügung gestellt. Die jeweiligen Anbindungsvereinbarungen enthalten keine vom Partner-Rechtsanwalt der Beklagten ausdrücklich überbundene Verpflichtung zur Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit. In den Vereinbarungen wurde aber vorgesehen, dass die Beklagte 25 % des Honorarbetrags für entsprechende Beratungen des Partneranwalts erhält.
Der Kläger (Österreichischer Rechtsanwaltsverein - ÖRAV) begehrte im Wesentlichen Unterlassung aufgrund verschiedener wettbewerbsrechtlicher Verstöße (insb durch Rechtsbruch). So sei das Geschäftsmodell der Beklagten unzulässig, führe zur Verwechslungsgefahr mit Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeiten und verstoße gegen das Verbot der Winkelschreiberei sowie gegen das anwaltliche Standesrecht (va Verschwiegenheitspflicht und Provisionsverbot). Den verschiedenen Klagebegehren wurde lediglich in wenigen Punkten Folge gegeben, überwiegend wurden diese jedoch vom OGH abbzw zurückgewiesen:
Dem Vorbringen des Klägers, Rechtsvertretung und Rechtsberatung seien Anwälten vorbehalten, sodass es mit der Selbständigkeit des Anwaltsberufs und dem Verbot der Winkelschreiberei unvereinbar sei, einem Rechtsanwalt Handlungsempfehlungen zu erteilen, entgegnete der OGH Folgendes: Dem Geschäftsmodell sei an keiner Stelle zu entnehmen, dass der jeweils involvierte Anwalt an – sei es traditionell oder durch Verwendung von Künstlicher Intelligenz – angebotene Rechercheergebnisse oder Handlungsempfehlungen gebunden wäre. Zudem sei er dadurch auch nicht der Pflicht gemäß § 9 Abs 1 RAO enthoben, seinen Mandanten mit Treue und Gewissenhaftigkeit gegen jedermann zu vertreten. Woraus der Kläger ableiten wolle, dass ein Anwalt keinen externen oder nichtanwaltlichen Rat einholen oder entgegennehmen darf, sei nicht erkennbar. Der OGH hielt es auch für unverständlich, inwiefern die Selbständigkeit eines Anwalts durch die ihm von der Beklagten gelieferten Daten beeinträchtigt werden sollte. So konnte nicht festgestellt werden, dass der Anwalt „die eigentliche juristische Arbeit“ ohne Kontrolle an Dritte „auslagern“ würde. Es sei daher vertretbar, die Praxis der Beklagten in Ansehung der von ihrem System erfolgenden Erstellung von Recherchen für Anwälte als mit den einschlägigen standesrechtlichen Bestimmungen vereinbar anzusehen.
Weiters scheiterte der Kläger mit seiner Argumentation, dass die Durchführung der Kommunikation über die Plattform der Beklagten eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs 2 RAO bzw der Datenschutzvorschrift gem § 40 Abs 3 RL-BA 20151 sei. Der OGH hielt es nämlich für vertretbar, dass die Weitergabe von Daten, die den Kernbereich der anwaltlichen Verschwiegenheit betreffen (nämlich die Kommunikation zwischen Mandanten und Anwalt), auch an einen vom Anwalt vertraglich zur Erbringung von Diensten herangezogenen Dritten keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht begründet. Denn der Dritte sei eine Hilfskraft des Anwalts und daher an § 9 Abs 2 RAO gebunden. Der Begriff „Hilfskraft“ werde nämlich weit verstanden und umfasse nicht nur Personen, die in einem Beschäftigungsverhältnis zum Rechtsanwalt stehen, sondern auch Dritte, wie etwa einen für den Aufbau und die Wartung der IT-Anlage eines Rechtsanwalts zuständigen Techniker. Die Ausgliederung (Outsourcing) bestimmter Dienstleistungen für Rechtsanwaltskanzleien sei üblich und nach den anwaltlichen Standesregeln nicht generell unzulässig. Im Übrigen sei der Datensicherheit genüge getan, da die Falldaten bis zur Mandatierung zweifach verschlüsselt in einer ISO-zertifizierten Cloud und nicht lokal gespeichert würden. Der Name der Beklagten „incaseof.law“ wurde zudem vom OGH nicht als irre- bzw zu Verwechslungen mit Anwaltskanzleien führend beurteilt. Erfolgreich war der Kläger hingegen mit dem Vorbringen, ein Rechtsanwalt dürfe nach § 47 Abs 3 Z 6 RL-BA 2015 an Dritte keine Provisionen, also Anteile seines Honorars, für die Vermittlung von anwaltlichen Dienstleistungen zahlen (4 Ob 77/23m).
Einleitung
Die vorliegende E ist insofern zu begrüßen, als sie fortschrittsfördernd wirkt und der Verwendung von KI im anwaltlichen Bereich gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen ist. Im Folgenden sollen – unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der gegenständlichen E – kurz einige Aspekte, die iZm KI und rechtsanwaltlichen Tätigkeiten zu beachten sind, näher beleuchtet werden.
Offengelassene Aspekte Offen ließ der OGH
– da dies vom Kläger nicht geltend gemacht wurde -, ob gegenständlich eine Verletzung der standesrechtlichen Verpflichtung des § 40 Abs 2 RL-BA vorlag. So normiert diese Bestimmung die Pflicht des Rechtsanwalts, sämtliche Hilfskräfte ordnungsgemäß zu unterweisen und zu beaufsichtigen. In ihrem Satz 2 wird diese Verpflichtung dahingehend konkretisiert, dass der Rechtsanwalt insb mittels vertraglicher Überbindung dafür Sorge zu tragen hat, dass die bestehenden beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtungen2 auch durch diese anderen Personen eingehalten werden. Da die Beklagte – wie auch vom OGH dargelegt3 – jedenfalls unter den weit auszulegenden Begriff der Hilfskraft des Rechtsanwalts fällt, hätte wohl der jeweilige Partner-Rechtsanwalt seine Verschwiegenheitsverpflichtung auf diese vertraglich überbinden müssen; dies geschah laut Sachverhalt jedoch nicht.
Analyse des Falles anhand des Artificial Intelligence Acts
Fraglich könnte zudem sein, ob der entscheidungsgegenständliche Sachverhalt im Lichte künftiger EU-Rechtsakte anders zu beurteilen wäre. Konkret wäre va an den geplanten Artificial Intelligence Act (AIA)4 zu denken. Dieser beruht auf einem risikobasierten Ansatz, wobei je nach Einsatzbereich der KI für höhere Risiken strengere Anforderungen normiert werden.5 Das vorliegende KI-Tool wäre dabei allerdings nicht als Hochrisiko-KI-System einzuordnen, da es nicht für die Anwendung in der Justiz (sondern lediglich durch Anwälte) bestimmt ist.6 Sehr wohl wären aber die Transparenzpflichten des Art 52 des Entwurfs des AIA der Europäischen Kommission einschlägig, denn diese gelten für „KI-Systeme, die für die Interaktion mit natürlichen Personen bestimmt sind“, was gegenständlich der Fall ist, wenn sich Personen mit verschiedenen rechtlichen Anliegen an die Plattform und ihr KI-Tool wenden. Das KI-System muss daher, um diesen Transparenzpflichten nachzukommen, so konzipiert sein, „dass natürlichen Personen mitgeteilt wird, dass sie es mit einem KI-System zu tun haben, es sei denn, dies ist aufgrund der Umstände und des Kontexts der Nutzung offensichtlich.“7 Der Abänderungsentwurf des Europäischen Parlaments geht noch weiter und fordert zusätzlich – soweit „angemessen und sachdienlich“ – Informationen darüber, „welche Funktionen KI-gestützt sind, ob es eine menschliche Aufsicht gibt und wer für den Entscheidungsprozess verantwortlich ist […].“ Gleichermaßen soll über verschiedene Rechte und Verfahren zu deren Durchsetzung in Bezug auf das KI-System informiert werden (gemeint sind ua etwa Behelfe gegen Entscheidungen oder Schadensverursachungen der KI).8 Während die Transparenzpflichten nach dem Entwurf der Kommission wohl leichter umzusetzen sind bzw uU im konkreten Fall bereits erfüllt werden (da es für die Nutzer wohl anhand des Internetsauftritts der Beklagten offensichtlich ist, dass sie es mit einem KI-System zu tun haben),9 erscheinen die zusätzlichen Vorgaben im Abänderungsentwurf des Europäischen Parlaments problematisch. Deren Umfang ist nämlich nicht zuletzt aufgrund unbestimmter Begriffe wie „angemessen“ und „sachdienlich“ alles andere als eindeutig, was im Hinblick auf die drohenden drastischen Strafen10 bei einem Verstoß gegen den AIA zu rechtsstaatlichen Bedenken11 führt. Für KI-Modelle wie jenes im konkreten Fall würde aber nach dem Abänderungsentwurf des EUParlaments der bloße Hinweis, dass Nutzer es mit KI zu tun haben, wohl nicht mehr ausreichen. Es bleibt allerdings auch abzuwarten, wie die Endfassung des AIA die Transparenzpflichten schlussendlich tatsächlich regeln wird.
Genauere Betrachtung anhand des Verbots der Winkelschreiberei
Beim Einsatz künstlicher Intelligenz in der juristischen Tätigkeit stellt sich allgemein die Frage, inwiefern dieser einen Eingriff in die Rechtsanwälten vorbehaltene und daher geschützte anwaltliche Tätigkeit darstellt – maW: ob darin also ein Verstoß gegen das Verbot der Winkelschreiberei zu sehen ist. Im Allgemeinen fällt unter das Verbot der Winkelschreiberei jede Tätigkeit, die einem Rechtsanwalt vorbehalten ist. Jedenfalls unzulässig ist die gerichtliche12 sowie die gewerbsmäßige außergerichtliche13 Vertretung.14 Im gegenständlichen Fall der incaseof.law GmbH besteht die Problematik eines Verstoßes gegen das Verbot der Winkelschreiberei aber von vornherein nicht. So ist zwar strittig, ob bereits die rechtliche Beratung - worunter wohl auch die Zurverfügungstellung der Ergebnisse der durch die KI vorgenommenen rechtlichen Recherche fällt - den Tatbestand der Winkelschreiberei erfüllt.15 Jedoch erfolgt die Bereitstellung der Rechercheergebnisse nicht an die Kunden, sondern unmittelbar an die Rechtsanwälte. Diese sind jedoch nicht an die Ergebnisse bzw an etwaige Handlungsempfehlungen der KI gebunden, weshalb diesbezüglich keinesfalls Winkelschreiberei vorliegt.16 Auch das Verfassen und Verschicken von Mahnschreiben durch die KI bereitet keine dahingehenden Bedenken. So ist die Inkassotätigkeit zwar als außergerichtliche Vertretung zu qualifizieren,17 allerdings beruht diese auf einer Gewerbeberechtigung nach § 118 GewO und stellt somit keinen Verstoß gegen das Verbot der Winkelschreiberei dar.18 Auch in der KIbasierten automatisierten Erstellung von Mahnklagen durch die incaseof.law GmbH ist uE – mangels Individualisierung19 – kein Verbotsverstoß zu sehen.
ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Zankl
ist Universitätsprofessor am Institut für Zivilrecht der Universität Wien (www.zankl.at), Gründer und Direktor des weltweiten Netzwerks für IT-Recht (www.e-center.eu), Entwickler und Leiter der ersten juristischen Crowd-Intelligence-Plattform (www.checkmycase.com) und Foundation Member der Computer Ethics Society Hong Kong.
© Privat
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